SCHWERELOS IM SCHLOSS
Kunst in einem Schloss zu zeigen ist an und für sich nichts Ungewöhnliches. Jeder Schlossbesitzer präsentierte ganz selbstverständlich seine Sammlung von Gemälden, Skulpturen und Kunstgegenstände in seiner Residenz. Die Werke entstammen zumeist jener Epochen als das Schloss erbaut wurde und dienten vornehmlich repräsentativen Zwecken. Schlossneubauten gibt es im europäischen Kulturraum nach dem 1. Weltkrieg keine mehr und folglich konnte sich die Präsentation der Kunst der Zeit in Schlössern nicht weiter etablieren. Die als Museen, Künstlerhäuser oder Kulturzentren umgewandelten oder als Retorte auferstandenen Schlösser der jüngsten Vergangenheit sind unter dieser Betrachtung Kulturinstitutionen in einer Schlossarchitektur. Und so ist es etwas Außergewöhnliches, wenn in dem im 16. Jahrhundert erbauten Schloss Pörnbach mit barockem Interieur eine Ausstellung zeitgenössischer Künstlerinnen und Künstler stattfindet. Auf der Zeitachse treffen hier zwei Welten aufeinander, die kulturhistorisch einmal einander bedingten. Sie zusammen zu bringen bedeutet für die Künstlerinnen und Künstler nicht der Versuchung zu erliegen, damalige Gepflogenheiten einer repräsentativen, affirmativen Kunstpräsentation wiederzubeleben. Der historisch-politisch beladene Ort, welcher ein Schloss unweigerlich ist, wird dabei zum Experimentierfeld einer ungewöhnlichen Okkupation.
Der Ausstellungstitel KOSMOS SEVEN umkreist thematisch die künstlerische Expedition auf ungewohntem Terrain und deutet sie bereits als zukunftsweisende Mission an.
Die international agierenden Künstlerinnen und Künstler dieser Ausstellung dringen in die fortbestehende Infrastruktur Schloss ein und setzen ihre Werke nicht nur in die Architektur, sondern schaffen hierfür eigens neue. Mit unterschiedlichen künstlerischen Medien entstehen vielfältige und vielschichtige Korrespondenzen zwischen den künstlerischen Arbeiten und dem Ort sowie zu Historie, Gegenwart und Zukunft. Die Kunst verbindet hier Zeiten und Territorien und generiert im Ergebnis neue, überraschende Erfahrungsräume. Das Schloss wird zu einem Kosmos der schwerelosen Assoziationen.
Subtil oder auch direkt reflektieren die Kunstwerke in der Ausstellung den Expansions- und Wissenstrieb des Menschen. Einige entlarven dabei seine destruktiven Bemühungen zugunsten eines unvermeidlichen Allwissensdrangs. Hier im Schloss wird unter diesem Aspekt unweigerlich der Historie feudalen Gebarens erinnert, andere Länder oder auch die Welt zu erobern, um das eigene Reich zu erweitern. Plötzlich lesen sich die Reisen zum Mond, die Erkundungen anderer Planeten bis hin zur Besiedelung des Universums als Zukunftsvision wie eine wahnbasierte oder gar genialische Fortpflanzungsgeschichte eines Nomadentums mit possessiven Triebgen.
Die Künstlerinnen und Künstler legen die von Gesellschaften selbst produzierten (Schein-)Welten offen, seien es die medial konstruierten Stereotypen in Hochglanzmagazinen oder Bilderfluten (Peter Freitag), die Historie von Objekten und Monumenten, die unsere Lebensräume prägen (Denis Prasolov) oder die Tradition der inszenierten Selbstdarstellungen mittels Kunst (Florence Obrecht, Axel Pahlavi). Andere sezieren wissenschaftlichen Fortschritt im Arbeitsumfeld des Menschen (Taisia Korotkova), beleuchten aber auch organische Strukturen der Natur, um sie in das Sozialgefüge Mensch zu implantieren (Alexei Kostroma). Wieder andere widmen sich einem Mikrokosmos und vereinnahmen künstlerisch Kleinstlebewesen, die zu erschreckend ästhetischen Prothesenwesen werden (Nicolas Darrot). Oder sie erschaffen surreale Welten mit der Kreation bizarr schöner Objekte (Natacha Ivanova) und übersetzen scheinbar festgehaltene Bilder aus Traumwelten in eine grafische Realität (Natalia Pivko). Diese mannigfaltigen Aspekte von Mikrokosmos lassen hier im Schloss an die Kuriositätenkabinette oder Wunderkammern von einst denken, deren Inszenierungen schon damals die Fantasie befremdlich beflügelten. Viele Visionen vergangener Epochen sind inzwischen Realität geworden und drängen zu der Frage, welche Visionen von heute in einer Zukunft Wirklichkeit sein werden. Dieses gedankliche Szenario findet Widerhall in einer Sichtachse auf zwei künstlerische Arbeiten: Fotografien der makrokosmischen Idylle nahezu unerschlossener Naturreservaten beschreiben einen Urzustand (Jasmine Rossi) und stehen riesigen Vitrinen diametral entgegen, die zu aggressiven Laboren mutieren, in denen Technik wie Natur gleichermaßen konstruierbar und kontrollierbar sind (Anthony James). Die hier eingefrorenen Ausschnitt-Welten, deren Zusammenfügung man sich nicht vorstellen mag, könnten einem Konzept kalkulierter Handlungsanweisungen folgen, dass sämtliche Eigendynamiken als Störfaktoren für die Zukunft archiviert (Vadim Zakharov). Diese Arbeiten scheinen trotz ihrer Diskrepanz als Parameter für das Spektrum der künstlerischen Reflexionen in dieser Ausstellung zu fungieren.
Für Kosmos gibt es keinen Plural, aber auch keine eindeutige Definition. Die Künstlerinnen und Künstler haben die Freiheit, sich pluralistisch und facettenreich dieser Ur-Dimension allen Seins zu nähern. Sie thematisieren das Überwältigende, die zeitlosen Ängste und nicht enden wollenden Visionen, die Anziehungskraft und den Reiz wie auch die Schönheit und die so selbstverständliche Ästhetik, die dieses faszinierende Abstraktum seit jeher in uns auslöst. Der Mensch und die Natur sind hier die Bezugspunkte, die ineinander wirken wie in vielen Arbeiten deutlich wird. Jedes Individuum und jede Individualität formen hingegen einen Mikrokosmos, ihn zu tolerieren und respektieren bedeutet erst die große Welt, den Makrokosmos, zu erfahren.
Dem Titel ist die symbolträchtige Zahl Sieben angefügt. Als transzendente Zahl scheint sie den naturwissenschaftlichen Begriff Kosmos in seiner Konnotation von Unendlichkeit und Schöpfung potenzieren zu wollen. Angefangen mit den ersten sichtbaren sieben Planeten hatte sie in den frühzeitigen Betrachtungen des Weltalls ihren festen Platz. Zumeist prognostiziert die mystische Sieben positive Erwartungen. Sie ist in nahezu allen Religionen, Kulten und insbesondere in Märchen höchst bedeutungsvoll. Die Sieben verweist auf eine Welt der tradierten Geschichten, der Fantasien sowie der metaphysischen und kindlichen Wahrnehmungen, die durch ihren tieferen Sinngehalt bis heute ihre Kraft nicht verloren haben. In den Märchen werden die Siebener immer gerettet und haben immer zu Essen.
Constanze Musterer