ART IN THE TIME OF CHOLERA
In was für einer seltsamen Zeit leben wir? – so möchte man sich täglich fragen, seit dem Beginn erst der pandemischen Isolation, dann der kriegerischen Unruhe. Während die Welt schrittweise aus den Fugen gerät und uns eine besonders dunkle Zeit bevorzustehen scheint, denken wir an eine alte Wahrheit zurück: Eine jede Zeit ist einzigartig in ihrer Natur. Als gewöhnlich und ereignislos erscheint die Zeit nur denjenigen, deren Herz trotz Unrast nicht zu schlagen weiß. Denn Unrast ist überall und jederzeit. Es liegt an uns, die Zeit zu wenden, die immer ungelegen kommt, im Äußeren wie im Inneren.
Die letzten Monate und Jahre waren für die meisten von uns eine Phase, die als eine Zeit der besonderen Isolation in Erinnerung bleiben wird. Dabei mag Isolation zuerst Vereinsamung bedeuten, eine schmerzvolle Quarantäne; doch sie kann auch als ein magischer Zufluchtsort erlebt werden, gleichsam als eine Zeit außerhalb von Zeit. Eine solche Außerzeitlichkeit wird im Roman Die Liebe in den Zeiten der Cholera geschildert, als ein endloser Ausnahmezustand, in dem man von der Welt willig vergessen wird. Weltfremd kommt man erst zu sich, weltabgewandt findet man erst zueinander. Ja, es ist vielleicht das Seltsamste unserer pandemischen Erfahrung, dass sie als eine Zeit der Einkehr erlebt werden konnte; wo man auf etwas aufmerksam wurde, das sonst lange Zeit verborgen lag, verdeckt unter der Last des Alltäglichen. In dieser Zeit hielten wir inne, mit der gehissten gelben Choleraflagge am Mast, jeder war auf sich selbst bezogen. War es genug Zeit, dass dabei mancher Stein sich zu blühen bequemte? Konnte die Zeit gewendet werden?
In der Geschichte hat sich die große Isolation oft genug als der eigentliche Grund genialer Inspirationen erwiesen; es war ein unerwarteter Schneesturm, der Descartes in ein enges Gastzimmer trieb und zur Entdeckung des Cogito brachte; und es war die schwarze Pest, die auf ähnliche Weise dem Newton den Einblick ins Gesetz der Schwerkraft gestattete. In solchen Fällen erscheint die Isolation als eine außergewöhnliche Zeit, die Kräfte konzentriert oder Ideen sichtbar macht, welche sonst im Gewimmel der Welt unterzugehen bedroht sind.
Auch hier ist eine solche außerzeitliche Zeit, aus welcher die acht Künstlerinnen und Künstler kommen. Sie präsentieren uns hier die Ergebnisse ihrer schöpferischen Selbstgespräche. Dort sind Arbeiten zu sehen, welche die traumatischen Ereignisse der vergangenen oder gegenwärtigen Zeit in künstlerischer Transformation wiedergeben, wie dunkle, gespiegelte Oberflächen; aber auch Arbeiten, welche, wie Prismen, die verklärten Bilder der erfahrenen Dinge und Gefühle ausstrahlen. Im lichtlosen Ausstellungsraum, der für diese außergewöhnlichen Ein- und Ausdrücke wie geschaffen ist, kreuzen sich Mythen mit Vorahnungen, gedrängte Stimmen mit fahlen Echos – wahrlich ein Speicher der außerzeitlichen Zeit. Der Dichter spricht: Es ist Zeit, dass es Zeit wird. Das lang Ersehnte, die freie Begegnung, ruft uns, und wir wollen hinauf, um dieser außerordentlichen Zeit beizuwohnen.
von Sool Park